Abmahnung ohne Originalvollmacht unwirksam?

Abmahnung ohne Originalvollmacht

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Abmahnung ohne Originalvollmacht

Abmahnung ohne Originalvollmacht

Im Zivilrecht führt die unverzügliche Zurückweisung einer Willenserklärung wegen fehlender Originalvollmacht gleichzeitig zur Unwirksamkeit dieser Willenserklärung. Die Willenserklärung wird nach der Zurückweisung durch den Empfänger rechtlich so eingestuft, als wenn sie gar nicht abgegeben worden wäre.

Im Wettbewerbsrecht ist heftig umstritten, ob diese Konsequenz auch bei einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung gegeben ist oder ob die Abmahnung nach der Zurückweisung und der darauf folgenden Vorlage einer Originalvollmacht wirksam bleibt. Die Abmahnung selbst ist keine Willenserklärung, so dass die Regelung in § 174 Satz 1 BGB nicht in jedem Fall greift.

  • Die derzeit vorherrschende Ansicht in der Rechtsprechung geht von der Wirksamkeit der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung aus (9). Zur Begründung führen die Gerichte vor allem die mangelnde Vergleichbarkeit der Abmahnung im Wettbewerbsrecht in Wesen und Bedeutung mit einer Willenserklärung oder einer geschäftsähnlichen Handlung im Bürgerlichen Recht an. Die wettbewerbsrechtliche Abmahnung enthalte nur einen Hinweis auf das Bestehen eines bestimmten Unterlassungsanspruches. Ferner gebe sie dem Abgemahnten lediglich die Möglichkeit der Beseitigung einer Wiederholungsgefahr (durch Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung) und schütze ihn (durch Übernahme der durch die Abmahnung verursachten Kosten) vor den Kostennachteilen eines Gerichtsverfahrens.

    Zudem würde nach Ansicht der Gerichte die wettbewerbsrechtliche Abmahnung ihres Sinns - einer schnellen und effektiven Abwehrvariante gegen Wettbewerbsverstöße oder/und Markenrechtsverletzungen - beraubt, wenn der Abmahnende unter erheblichem Zeitaufwand dem beauftragten Rechtsanwalt erst eine Originalvollmacht vorlegen muss, bevor dieser Rechtsanwalt wirksam gegenüber dem Abzumahnenden tätig werden kann.

    Diese Auffassung ist insofern angreifbar, als dass der BGH auf die Mahnung (wegen der Nichtbezahlung einer Rechnung) als geschäftsähnliche Handlung sehr wohl die Regelung in § 174 Satz 1 BGB entsprechend anwendet (10). Zudem ist die wettbewerbsrechtliche Abmahnung als geschäftsähnliche Handlung anerkannt. Weiterhin bieten verschiedene Postdienstleistungsunternehmen bereits 24-Stunden-Zustellservices für Postsendungen an. Daher könnte die Abmahnung unter Vorlage einer Originalvollmacht immer noch mit einem Tag Verzögerung erfolgen, selbst wenn der Konkurrent seinen Geschäftssitz auf Hawaii hat und der beauftragte Rechtsanwalt sowie der Abzumahnende ihren Geschäftssitz in Deutschland haben.

  • Aus den Entscheidungen einiger Oberlandesgerichte über die Kosten von einstweiligen Verfügungen wird eine vermittelnde Auffassung geschlossen (11). Danach wird die gesetzliche Regelung in § 174 Satz 1 BGB nicht entsprechend auf die wettbewerbsrechtliche Abmahnung angewendet, wenn die Abmahnung mit dem Angebot auf Abschluss eines Unterwerfungsvertrages in Form einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verbunden ist. Im Rahmen einer strafbewehrten Unterlassungserklärung versichert der Abgemahnte, dass er das abgemahnte Verhalten "einstellt" und im Fall einer Zuwiderhandlung eine empfindliche Vertragsstrafe zahlt. Die strafbewehrte Unterlassungserklärung ist ein zwischen dem Abmahnenden und dem Abgemahnten geschlossener, zweiseitiger Vertrag. Diese Ansicht stellt dem Abgemahnten aber frei, die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung an die Bedingung zu knüpfen, dass der abmahnende Rechtsanwalt ihm zuvor eine Originalvollmacht vorlegt.

    Zur Begründung weisen diese Gerichte darauf hin, dass durch eine Abmahnung in Verbindung mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gleichzeitig ein Angebot auf Abschluss eines Unterwerfungsvertrages unterbreitet wird. In diesen Fällen würde aber der Vertreter ohne Vertretungsmacht (= der ohne Vollmacht abmahnende Rechtsanwalt) in die Stellung des Abmahnenden eintreten, denn dieser Unterlassungsvertrag ist anders als die Abmahnung ein zweiseitiger Vertrag. Dieser vermittelnden Ansicht ist der BGH in seiner Entscheidung vom 19.05.2010 (12) gefolgt. Das bezeichnete Gericht hat darin insbesondere betont, dass der Abgemahnte die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung von der Vorlage einer Originalvollmacht abhängig machen kann.

Ergänzung Formulierungsvorschlag

Dieser Erschwernis kann ein Abgemahnter gerecht werden, wenn er bei dem oben genannten Formulierungsvorschlag am Ende den folgenden Satz ergänzt:

"Ich bin aber zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung bereit, wenn mir eine auf Sie lautende Originalvollmacht für diese Angelegenheit vorgelegt wird".

Fragwürdige Rechtsauffassung

Die o. g. Auffassung einiger Oberlandesgerichte ist nach Ansicht des Autors auch nach Kenntnisnahme des zitierten BGH-Urteils zumindest fragwürdig, denn sie verkennt, dass die Abmahnung und die strafbewehrte Unterlassungserklärung zwei vollkommen unterschiedliche Willenserklärungen sind. Die Abmahnung als geschäftsähnliche Handlung wird nicht zum Angebot auf Abschluss eines zweiseitigen Vertrages, nur weil in die Abmahnung eine strafbewehrte Unterlassungserklärung integriert ist. Vielmehr hängt die Wirksamkeit der strafbewehrten Unterlassungserklärung von der Wirksamkeit der Abmahnung ab. Ist die Abmahnung unwirksam, geht auch die strafbewehrte Unterlassungserklärung ins Leere.

Darüber hinaus ist diese Rechtsauffassung inkonsequent. Zwar stellt der BGH klar, dass die Abmahnung bei der gleichzeitigen Unterbreitung eines Angebotes auf Abschluss eines Unterwerfungsvertrages wirksam ist. Auf der anderen Seite soll der Abgemahnte aber berechtigt bleiben, die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung von der Vorlage einer Originalvollmacht abhängig zu machen. Mit anderen Worten: Der Abmahnende bleibt nach wie vor zur Vorlage einer Originalvollmacht verpflichtet.

  • Nach einer anderen Ansicht in der Rechtsprechung findet die Regelung in § 174 Satz 1 BGB zu Recht auf die wettbewerbsrechtliche Abmahnung Anwendung (13). Neben den bereits erwähnten Bedenken gegen die momentan noch vorherrschende Ansicht wird eingewandt, dass der Abgemahnte mit der strafbewehrten Unterlassungserklärung eine sehr weitreichende Erklärung abgibt. Schließlich enthält die bezeichnete Erklärung häufig eine Strafandrohung dergestalt, dass bei einem bestimmten Verstoß eine Vertragsstrafe von 5.000-10.000 Euro an den Abmahnenden zu zahlen ist. Eine solche Erklärung sollte der Abgemahnte aber nicht einfach gegenüber einem nicht ausreichend legitimierten Rechtsanwalt abgegeben müssen.

    Zudem kann der Abmahnende die Abmahnung durch einen beauftragten Rechtsanwalt oder durch einen beauftragten Dritten ohne Schwierigkeiten unter Vorlage einer Originalvollmacht durchführen lassen, so dass es keine Zweifel an der Legitimierung des Rechtsanwaltes bzw. des Dritten gibt. Auf diese Weise wird der Abgemahnte nicht mit den Risiken belastet, die durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gegenüber einem unberechtigt abmahnenden Rechtsanwalt bzw. Dritten entstehen. Schließlich könnte ein unberechtigt Abmahnender die strafbewehrte Unterlassungserklärung (mit der empfindlichen Strafandrohung in Höhe von 5.000-10.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung) missbrauchen.

    Angesichts der ergangenen BGH Entscheidung vom 19.05.2010 sollte der vermittelnden Auffassung bei Reaktionen auf Abmahnungen Rechnung getragen werden. In der Konsequenz sollte die unverzügliche Zurückweisung der Abmahnung stets mit der Anzeige einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung für den Fall der Vorlage einer Originalvollmacht verbunden werden.

Zusammenfassung

Eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung durch einen beauftragten Rechtsanwalt sollte auch nach der BGH Entscheidung vom 19.05.2010 grundsätzlich unter Vorlage einer Originalvollmacht erfolgen. Zwar bleibt die Abmahnung nach der zitierten Entscheidung wirksam, wenn sie wie üblich mit dem Angebot auf Abschluss eines Unterwerfungsvertrages verbunden ist, aber der Abgemahnte kann die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung von der Vorlage einer Originalvollmacht abhängig machen. Der Abgemahnte hat unter Berücksichtigung dieser Ansicht des BGH aber nunmehr in jedem Fall die Kosten des vom Konkurrenten beauftragten Rechtsanwaltes zu tragen, soweit der geschilderte Regelfall vorliegt. Der Abgemahnte kann nun nicht mehr im Fall einer berechtigten Abmahnung ohne Originalvollmacht einfach das wettbewerbswidrige Verhalten einstellen und damit einer erneuten Abmahnung unter Vorlage einer Originalvollmacht zuvorkommen.

Urteile:

(1)
BGH Urteil v. 05.05.1988, I ZR 151/86 (KG), BGH GRUR 1988, S. 716 (717)
BGH Urteil v. 19.06.1986, I ZR 65/84, BGH GRUR 1987, S. 54 (55)

(2)
BGH Urteil v. 19.06.1986, I ZR 65/84, BGH GRUR 1987, S. 54 (55)

(3)
BGH Urteil v. 05.05.1988, I ZR 151/86 (KG), BGH GRUR 1988, S. 716 (717)

(4)
BGH Urteil v. 01.12.1994, I ZR 139/92 (KG), BGH GRUR 1995, S. 167 (168)

(5)
OLG München, Urteil v. 01.04.1997, 29 W 1034/97, n.v.
OLG München Beschluss v. 18.05.1987, 29 W 1085/87, WRP 1988, S. 62 (62 f.)

(6)
BGH Urteil v. 10.02.1994, IX ZR 109/93, BGH NJW 1994, S. 1472 (1472 f.)
BGH Urteil v. 04.02.1981, VIII ZR 313/79, BGH NJW 1981, S. 1210
OLG Hamm Urteil v. 26.10.1990, 20 U 71/90, OLG Hamm NJW 1991, S. 1185 ff.

(7)
OLG Hamm Urteil v. 26.10.1990, 20 U 71/90, OLG Hamm NJW 1991, S. 1185 (1186)

(8)
Bundesarbeitsgericht (= BAG) Urteil v. 18.12.1980, 2 AZR 980/78, BAG NJW 1981, S. 2374 (2375)

(9)
OLG Frankfurt/M. Beschluss v. 26.07.2001, 6 W 132/01, OLG Frankfurt/M. OLG-Report 2001, S. 270
OLG Karlsruhe Beschluss v. 17.04.1990, 4 W 117/87, OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, S. 1323
KG Berlin Beschluss v. 03.03.1987, 5 W 892/87, KG Berlin GRUR 1988, S. 79
OLG Köln Beschluss v. 25.01.1985, 6 W 159/84, WRP 1985, S. 360 (361)
OLG Brandenburg Beschl. v. 27.07.2002, Akz.: 6 W 18/00
OLG Frankfurt/M. Urt. v. 08.12.2009, Akz.: 11 U 72/07
LG Köln Urt. v. 18.07.2007, Akz.: 28 O 480/06

(10)
BGH Urteil v. 25.11.1982, III ZR 92/81, BGH NJW 1983, S. 1542
OLG Hamburg Urt. v. 19.07.2007, Akz.: 3 U 241/06

(11)
OLG Stuttgart Beschluss vom 11.06.1999, 2 W 24/99, OLG Stuttgart NJWE-WettbR 2000, S. 125
OLG Hamburg Beschluss v. 06.09.1985, 3 W 98/85, OLG Hamburg WRP 1986, S. 106
OLG Hamburg Beschluss v. 11.03.1982, 3 W 17/82, WRP 1982 S. 478

(12)
BGH, Urteil vom 19.05.2010, I ZR 140/08

(13)
OLG Düsseldorf Beschluss v. 13.07.2000, 20 W 37/00, OLG Düsseldorf WRP 2001, S. 52 (52 f.)
OLG Düsseldorf NJWE-WettbR 1999, S. 263 (263 f.)
OLG Nürnberg Beschluss v. 04.01.1991, 3 W 3523/90, NJW-RR 1991, S. 1393 (1394)
OLG Düsseldorf Urt. v. 21.11.2006, Akz.: I 20 U 22/06
OLG Düsseldorf Urt. v. 11.08.2009, Akz.: I 20 U 253/08