Selbstständig mit Kind?

Leben. Mit Kind.

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Leben. Mit Kind.

"Wir müssen Kinder in unseren Alltag integrieren und nicht immer nur daran denken, wie wir sie in staatliche Institutionen geben, damit sie möglichst überhaupt nicht auftauchen", so Kindertherapeut und Autor Wolfgang Bergmann. Und damit hat er Recht.

Gerade Selbstständige, die gelernt haben, dass man persönliche Bedürfnisse bis zum Anschlag zurückstellen und nahezu alles leisten kann, wenn man es sich nur vehement genug abverlangt - gerade diese Selbstständigen, die nicht selten dem Workaholic näher stehen, als sie es sich eingestehen möchten, laufen Gefahr, dass das Leben ihrer Kinder still und leise an ihnen vorüber läuft oder sie es nicht von Herzen genießen können.

Anne Schneider kennt das auch aus ihrem Kollegenkreis: "Manche von ihnen", sagt sie, "schaffen den Absprung vom Arbeiten bis zum Rand der Erschöpfung und darüber hinaus nie - auch wenn sie es versuchen. Selbst ein Kind kann das nicht ändern."

Projekt "Kind" erfolgreich abgewickelt?

Den Absprung? Eine weitere Frau, die im Chor mit einer bekannten Nachrichtensprecherin die Rückkehr an den Herd fordert?

Mitnichten.

Nur eine, die Fragen stellt:

  • Ist das Bild der glücklich und entspannt lächelnden Mama im Job vielleicht ein Stück weit auch eine selbst gelegte Messlatte, die zu hoch gesteckt ist?

  • Ist es wirklich verwerflich, sich - auch als von Herzen gern arbeitende Working Mum oder arbeitender Working Dad - nach Ruhe, Heim, Kind und Garten zu sehnen?

  • Wie viele Abstriche an mir und meinem Leben bin ich wirklich zu machen bereit?

  • Wo liegen meine Prioritäten, meine "Unternehmervisionen" in meinem Leben?

  • Ist es wirklich ein Gewinn, wenn ich mein Leben mit Kind wie ein erfolgreiches Projekt organisiere?

  • Wie weit gehe ich freiwillig für Erfolg und Unabhängigkeit? Wie viele meiner Schritte sind Gewohnheit und - innerer oder äußerer - Zwang?

Kampf um die richtigen Prioritäten

Mario Kamrad als "Working Dad" und seine Frau haben sich ähnliche Fragen gestellt. Und beide haben sich - ebenso wie Anne Schneider - letztlich auf ein Modell mit ähnlichen Grundsätzen eingeschossen. Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen dabei in beiden Familien ein fester Tagesablauf und ein sehr gut geplantes Zeitmanagement. Sowohl Anne Schneider als auch Familie Kamrad hatten das Glück, recht früh einen Krippenplatz für ihre Kinder zu finden. Nachmittags wurde die Hausarbeit mit Kind erledigt. "Natürlich", wirft Schneider ein, "lassen Kinder sich nicht so genau timen. Und was geworden wäre, wenn mein Sohn einmal ernsthaft krank geworden wäre, daran will ich gar nicht denken. Dann wäre all meine Planung zusammengebrochen wie ein Kartenhaus."

Ganz wichtig für die Working Mum und den Working Dad ist heute neben der Arbeit auch die gemeinsam verbrachte Zeit mit dem Kind. "Eine Stunde am Tag", so Kamrad, "mache ich etwas Sinnvolles nur mit unserer Tochter. Ein Buch anschauen, ein Spiel spielen, ihr einen schönen Ort zeigen; etwa einen Baum am Fluss oder eine Lichtung mit Glühwürmchen in der Dämmerung. Kinder sind da gar nicht so anspruchsvoll. Wichtig ist nur, dass es auch Zeiten gibt, die nur und ausschließlich für sie da sind und für nichts anderes sonst. Keine Wäsche aufhängen oder nebenbei einkaufen oder ähnliches. All die vielen Wege und Handgriffe, die man mit Kind erledigen kann, sind ohne Frage wichtig - Papiere ordnen etwa, der Weg zur Post, aber auch die Hausarbeit. Doch auch hier läuft man Gefahr, das Kind irgendwann nur noch nebenher laufen zu lassen. Zumindest einmal am Tag sollte alle eigene Aufmerksamkeit und Kreativität nur auf das Kind ausgerichtet sein. Eine Stunde - das klingt zunächst wenig. Ist es aber nicht."

Diese Zeiten, das haben sowohl Schneider als auch Kamrad gelernt, müssen hart verteidigt werden. "Man ist so schnell dabei, doch zu sagen: Ach, warte noch kurz, Mama muss jetzt noch dies oder das machen. Und Kinder widersprechen dann nicht. Sie wissen ja nicht, was ihnen fehlt. Da muss man dann verantwortungsbewusst sein, die Seite seines Kindes vehement vertreten und darf sich nicht dazu hinreißen lassen, am schwächsten Glied der Kette einzusparen, nur weil es am wenigsten muckt."

Anne Schneider gibt unumwunden zu, dass sie oft mit sich kämpfen musste, um diese Zeit mit ihrem Sohn zu verteidigen. "Manchmal ist man so müde, da will man einfach nur noch seine Ruhe haben und den leichteren Weg gehen. Aber wenn man dann am Abend zurückschaut und sich diese Zeit mit seinem Kind genommen hat, dann ist man stolz und zufrieden - und kann sich mit ruhigem Gewissen auch noch einmal ein paar Stunden an den Schreibtisch setzen, wenn es Not tut."

Für beide gleichfalls essentiell war das zeitige Hinzuziehen von ein bis zwei weiteren Bezugspersonen. "Das muss früh passieren", rät Kamrad. "Idealerweise vor der Fremdelphase. Sonst steht man am Ende in Notsituationen da und hat niemanden, dem man sein Kind guten Gewissens anvertrauen kann. Und das muss man manchmal. Nicht jede Deadline lässt sich um ein bis zwei Tage nach hinten verschieben - auch wenn man noch so freundlich fragt und der Grund noch so wichtig ist. Notfallpläne zu haben, die greifen, ist man seinen Auftraggebern schuldig. Sonst verliert man sie - mit Recht." In der Regel aber hat Kamrad festgestellt, dass fast alles heißer gekocht als gegessen wird. Wer seine Situation erklärt und nachfragt, ob die Angelegenheit noch einen oder zwei Tage Aufschub haben könnte, stößt meist auf offene Ohren. Zumindest dann, wenn er die Frage nicht kurz vor Abgabetermin stellt und zudem signalisiert, daß der Aufschub hilfreich wäre - der Termin im größten Notfall aber auch gehalten werden könnte. "Allerdings kann man natürlich nicht alle naselang um Verständnis bitten", fügt Konrad hinzu. "Dann wird es auch dem freundlichsten Auftraggeber zu bunt."