Leser fesseln mit gelungenen Beschreibungen
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In diesem Beitrag geht es um gelungene Beschreibungen sowie darum, wie man als Autor mit ihrer Hilfe den Leser in die Welt einer Geschichte entführt. Dazu stellen wir einige Werkzeuge vor, die Autoren helfen, die Welt der Geschichte so sinnlich zu beschreiben, dass der Leser in ihr aufgeht. Außer theoretischen Grundlagen haben wir aber auch Beschreibungs-Übungen für Sie.
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Wie "macht" der Autor eine Be-Schreibung, die den Leser fesselt?
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Der Roman "Die Freibadclique" von Oliver Storz beginnt mit dem Satz:
"Die niedere Steinmauer am Freibadeingang fühlte sich an, als seien schon Ferien: gegen fünf noch so sengend, dass unsere mageren Ärsche in den dünn gewetzten Badehosen darauf glühten."
Dieser Satz lässt vor dem inneren Auge des Lesers sofort eine Welt entstehen. Wir "sehen" magere Kinderpopos, deren Besitzer offensichtlich nicht im Reichtum schwimmen (sorry für den Kalauer ...), denn die Badehosen sind abgewetzt, wir "sehen" eine niedrige, vor Hitze glühende Mauer und wir bekommen ein Gefühl vermittelt: Das vorzeitige Feriengefühl. Ein Sommergefühl. Gleichzeitig steigt vielleicht die Erinnerung an eigene Freibaderlebnisse im Leser hoch. Daran, wie die Platten des Mäuerchens am Kiosk rochen, wenn sie vom nassen Badezeug feucht wurden. Und den Geruch von Pommes. An die winzigen roten Steinläuse, die auf den Platten herumkrabbelten, das Gekreisch, das in der Luft lag, dann und wann unterbrochen von einem Platschen, wenn wieder jemand vom Zehner gesprungen war.
Mit wenigen Worten entführt Oliver Storz die Leser in die Welt seines Romans und hält ihn als eine Art freiwilligen Gefangenen dort fest.
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Genauso plastisch können auch Personenbeschreibungen sein:
"Der kleine Heinz kleidet sich vorbildlich, die Bügelfalte seiner hellen Sommerhose wirkt, als könne man sich an ihr schneiden."
So beschreibt Alexander Osang in seiner Reportage "Tod im Paradies", in der er das Leben deutscher Rentner im thailändischen Pattaya schildert, seinen Protagonisten.
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Mit wenigen, sich auf das Wesentliche konzentrierenden Worten lassen beide Autoren ihren jeweiligen "Beschreibungsgegenstand" vor dem inneren Auge des Lesers lebendig werden und ziehen diesen in die vom Autor geschaffene, bzw. im Falle von Alexander Osang, vom Autor beschriebene, Welt hinein.
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Gute Beschreibungen sorgen dafür, dass der Leser sich in der beschriebenen Welt wie in einem (eigenen) Traum bewegt und sie nicht wieder verlassen will.
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Alle Sinne beieinander haben
Vor ein paar Tagen las ich in der U-Bahn die Überschrift "Das Ohr liest mit". Leider bin ich nicht selbst auf diese genialen Satz gekommen, denn er ist ein passender Aufhänger für diesen Abschnitt, bei dem es um das Beschreiben mit und für alle Sinne gehen wird.
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Im Alltag sind die meisten von uns Augentiere. Die anderen Sinne, wie Hören, Riechen, Schmecken und Tasten treten hinter das Sehen zurück. Trotzdem sind alle diese Sinneseindrücke da und werden, wenn auch eher unbewusst, als eine Art Hintergrundrauschen wahrgenommen.
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Der Sinn einer guten Beschreibung liegt darin, eine geschlossene Welt für den Leser zu kreieren, die so spannend und lebensecht scheint, dass er nicht mehr aus ihr hinaus will. Sie kennen das: Das Telefon klingelt, aber man kann nicht aufhören zu lesen. Man hat Hunger, will aber unbedingt noch das Kapitel zu Ende lesen. Eigentlich müsste man längst schlafen, aber man kann das Buch nicht zur Seite legen. Die reale Welt tritt zurück und wir sind gefangen in der Welt des Buches, das wir lesen. Um den Leser so zu bannen, muss der Autor auch seine fiktive Welt mit einer Art Rauschen aller Sinneseindrücke versehen. Mehr noch: Er muss das Rauschen aus dem Hintergrund holen in das Bewusstsein des Lesers.
Egal, welche Art Welt, Raum oder welche Person wir beschreiben, wir brauchen Informationen für alle Sinne. Welche Gerüche strömen sie oder er aus? Welche Geräusche sind zu hören, bzw. wie klingt die Stimme einer Figur? Wie sehen die Welt oder die Figur aus?
Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht an den kleinen Herrn Rettich, den ich für meinen Artikel über lebensechte Figuren erfunden hatte. Herr Rettich ist ein kleiner, verhuscht wirkender Mann um die fünfzig. Für und mit allen Sinnen beschrieben sähe er in etwa so aus:
Herr Rettich huscht an mir vorbei, unter dem üblichen grauen Anzug heute das weiße Hemd, murmelt ein heiseres "Guten Tag" und verschwindet, gefolgt von der üblichen Wolke aus Zigarettenrauch und Rasierwasser, wie ein Geist in seiner Wohnung.
Vielleicht nicht gerade Weltliteratur, aber alle Sinne werden bedient: Wir riechen Herrn Rettichs Geruch, hören seine Heiserkeit und sehen seinen grauen Anzug und das weiße Hemd. Außerdem erfahren wir etwas über die Art seiner Bewegungen: Er huscht und verschwindet in seiner Wohnung wie ein Geist.
Wichtig ist, solche Details über seine Figuren und deren Welt zu kennen. Sie dann künstlerisch wertvoll zu kondensieren, ist eine Aufgabe für die weitere Überarbeitung.
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Aufgabe: Blindes Tasten
Eine sehr gute Übung, wie man sich an das Schreiben für alle Sinne herantastet, habe ich dem empfehlenswerten Band "Creative Writing. Romane und Kurzgeschichten schreiben" von Alexander Steele entnommen:
Suchen Sie sich eine Figur und stellen Sie sich vor, sie sei mit ein paar Freunden in eine Höhle gegangen. Dummerweise ist sie von der Gruppe getrennt worden und muss sich nun ohne Taschenlampe durch den pechschwarzen Tunnel tasten und entweder einen Ausgang oder ihre Freunde finden. Schreiben Sie eine Szene, in der Sie das Erlebnis der Figur durch sinnliche Wahrnehmung deutlich machen. Da der Sehsinn eingeschränkt ist, müssen Sie sich auf Gehör, Geruch, Tastsinn und Geschmack konzentrieren. Lassen Sie den Leser den Schauplatz körperlich spüren.
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Ganz konkret sein
Neurowissenschaftler haben festgestellt, dass das Lesen von Wörtern, die konkrete Dinge bezeichnen, die Areale im Gehirn aktiviert, in denen diese Dinge abgespeichert sind. Lese ich also das Wort "Telefon", wacht das Areal auf, in dem der Gegenstand "Telefon" gespeichert ist. Es scheint so zu sein, dass das Gehirn nicht unterscheidet zwischen dem Lesen des Wortes und dem tatsächlichen Sehen des Gegenstandes. Bei abstrakten Begriffen wie "Gerechtigkeit", "Symbiose" oder ähnlichem passiert das nicht. Möglicherweise ist das eine Erklärung für das Phänomen, dass die fiktive Welt einer Geschichte umso realer für den Leser wird, je konkreter der Autor sie beschreibt.
Wenn man sich noch einmal die Beschreibung von Herrn Rettich ansieht, merkt man, dass es noch einigen Konkretisierungsbedarf gibt. Sie ist in vielem noch vage, was die Beschreibung schwammig erscheinen lässt.
Was für ein Rasierwasser benutzt er konkret? Süß? Herb männlich? Riecht es nach Geld? Oder spielt es eher in der Liga von Nasenbeißern wie Tabac Original? Ist der Anzug ein Ein- oder Zweireiher? Ist er modisch oder zeitlos oder gar unmodern? Was für eine Art Grau hat sein Anzug? Taubengrau? Asphaltgrau? Hellgrau? Je mehr der Autor an solchen konkreten Details arbeitet, Bezeichnungen von Farben, Bezeichnungen von Tieren, Pflanzen, Maschinen, Vorgängen und dergleichen mehr kennt, desto realer erscheinen die Figuren und die Welt, die er beschreibt.
Ein weiterer Vorteil der konkreten, sinnlichen Beschreibung ist, dass wir Welten erfinden können, die völlig real scheinen, aber gänzlich unseren Zwecken als Geschichtenerzähler unterworfen sind.
Zum Schluss ein Beispiel aus Jakob Arjounis "Der heilige Eddy", bei dem er sehr genau und konkret den Blick der sogenannten "Giftschwuchtel", eines ziemlichen Unsympathen, beschreibt:
"Immer noch der gleiche verschlagene, gierige Blick, der einem nie direkt in die Augen ging, sondern so knapp daran vorbei, dass man sich nach einer Weile unwillkürlich umdrehte, ob hinter einem jemand Grimassen schnitt, vielleicht ein Haus brannte oder ein Zeppelin vorbeiflog."
Arjouni beschränkt seine Beschreibung nicht drauf, wie dieser Blick funktioniert, sondern er bindet auch noch die Reaktion bzw. das Gefühl des solchermaßen Angeblickten in seine Beschreibung mit ein. Und auch dieses Gefühl wird sehr konkret beschrieben.
Gefühle möglichst konkret zu beschreiben, ist ein Kunstgriff, um den Leser in die Innenwelt der Figuren zu ziehen. Ähnlich wie bei der Beschreibung der Figur oder der Welt, in der sie lebt, gilt auch für die Emotionen der Figuren: Je konkreter sie beschrieben werden, desto näher kommt der Leser der Figur. Es reicht nicht aus, sie einfach wütend, traurig oder glücklich sein zu lassen. Emotionen lassen auch Figuren die Stimme versagen, einen Kloß im Hals haben, die Stimme zittern, die Tränen in die Augen schießen, keine Luft mehr bekommen, schlecht werden, sich verwundert umblicken usw.