Schein-Argumente zur Zwangsrente (III): Die Tricks des Sozialbeirats der Bundesregierung

Anmerkungen zu einer Kampagne, Teil 3: Wie der Sozialbeirat dem Bundesverfassungsgericht die eigene Meinung unterschiebt

Der Sozialbeirat der Bundesregierung macht sich für die Zwangsrente für Selbstständige stark. Dabei bedient er sich unlauterer Mittel.

∅ 5 / 7 Bewertungen

Der Sozialbeirat der Bundesregierung ist einer der Hauptinitiatoren der Kampagne, Furcht vor der angeblich drohenden wachsenden Altersarmut Selbständiger zu schüren und deren Zwangsvorsorge zu propagieren. Der dritte Teil unserer Serie über die Hintergründe zur Zwangsrente für Selbstständige.

Ende November 2009 veröffentlichte der Sozialbeirat der Bundesregierung sein jährlich erscheinendes "Gutachten zum Rentenversicherungsbericht" für 2009. Im Gutachten fordert der Sozialbeirat eindringlich, für alle Selbständigen die gesetzliche Zwangsaltersvorsorge einzuführen, da man andernfalls mit einem massiver Anstieg der Altersarmut Selbständiger rechnen müsse.

Medienecho auf die besondere Altersarmutsgefahr für Selbständige gemäß Sozialbeirat

Der Sozialbeirat der Bundesregierung gilt als politisch wichtige und seriöse Instanz. Entsprechend steigen die Medien auf die Altersarmutsbehauptung des Sozialbeirats ein. Zuerst veröffentlichte das Handelsblatt am 01.12.2009 die Story "exklusiv":

"Armutsrisiko – Deutschland droht ein Selbstständigen-Prekariat
Der Sozialbeirat der Bundesregierung hat die schwarz-gelbe Koalition aufgefordert, dem wachsenden Armutsrisiko bei Selbstständigen durch Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht zu begegnen. Denn immer mehr Selbstständige sind ohne Absicherung, die Perspektiven sehen schlecht aus ..."

Über die Nachrichtenagentur ddp (Originaltext hier) entsteht daraufhin eine Welle in den Massenmedien, die die Vorstellung der angeblich besonderen Altersarmutsgefahr für Selbstständige in den Köpfen von Bürgern und Politikern weiter befestigt.

In der Süddeutschen Zeitung liest sich das am 02.12.2009 dann so:

"Altersarmut - Ab in die Rentenversicherung
Der Sozialbeirat der Bundesregierung hat sich dafür ausgesprochen, von der Altersarmut bedrohte Selbständige stärker in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Das geht aus dem Gutachten der Regierungsberater zum Rentenversicherungsbericht 2009 hervor. Insgesamt zwei bis drei Millionen Selbständige seien "ohne obligatorische Alterssicherung", heißt es in dem Gutachten."

Zur Illustration bietet der Artikel auch ein Foto eines Rentners mit Rolli. Darunter steht: "Zwei bis drei Millionen Selbstständige sind in Deutschland ohne obligatorische Rentenversicherung und im Alter besonders vom Armutsrisiko betroffen."

Aufgaben und Zusammensetzung Sozialbeirat: Selbständige faktisch ohne Stimme

Aufgaben. Der gemäß SGB VI 155f zusammengesetzte Sozialbeirat hat wesentlichen Einfluss auf die Sozialpolitik in Deutschland. Neben den regelmäßigen jährlichen Gutachten zum Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung "hat sich" gemäß Selbstdarstellung des Sozialbeirats "... eine auf Neuregelungen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung bezogene Beratung der Bundesregierung ergeben." Demnach berät der Sozialbeirat die Bundesregierung auch direkt ohne gesetzlichen Auftrag.

Zusammensetzung: Der Sozialbeirat besteht aus 12 Spitzenfunktionsträgern folgender Bereiche: 5 x Rentenversicherer, 4 x Gewerkschaften, 2 x Bundesagentur für Arbeit, 3 x Forschungsinstitute und Hochschulen, 1 x Bundesbank, 1 x Bundesverband der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) - mit teilweisen Mehrfachnennungen wegen einiger Multifunktionäre im Gremium.

Gemäß § 156 SGB VI sind für den Sozialbeirat vier Arbeitgebervertreter zu bestellen. Bis auf einen Vertreter des Arbeitgeberverbands handelt es sich hier jedoch um Funktionäre der Rentenversicherer als Arbeitgeber. Das Gremium setzt sich massiv für die Zwangsvorsorge Selbstständiger in Deutschland ein. Faktisch haben die Betroffenen Millionen Selbständige im Sozialbeirat keine Stimme.

Auch der Deutsche Bundestag veröffentlicht am 12.12.2009 seine Meldung zum Sozialbeirats-Gutachten 2009, die ebenfalls suggeriert, die zwei bis drei Millionen Selbständige ohne Rentenversicherungspflicht seien von Altersarmut bedroht:

"Der Sozialbeirat der Bundesregierung dringt in seinem Bericht darauf, von Altersarmut bedrohte Selbständige stärker als bisher in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Insgesamt zwei bis drei Millionen Selbständige seien ohne obligatorische Alterssicherung, heißt es in der Stellungnahme der Regierungsberater zum Rentenversicherungsbericht."

Der Zwangsvorsorgekampagne des Sozialbeirats fehlen seriöse Belege für die angeblich drohende Altersarmut

Welche Quellen und Nachweise kann der Sozialbeirat für die Selbständigen angeblich drohende Altersarmut in seinem Gutachten 2009 anführen? Hier wird es sehr schnell sehr dünn:

1. Sozialbeirat verfälscht in seinem Sinne die problembehafteten Ergebnisse der AVID 2005 Studie

Im Gutachten 2009 verweist der Sozialbeirat zunächst im Punkt 54. auf das Ergebnis der AVID-2005-Studie, die im Forschungsauftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund erstellt wurde, welche wiederum im Sozialbeirat personell bestens vertreten ist:

"In den Biographien von Personen mit niedrigem Netto-Alterseinkommen sind bis zu dreimal längere Phasen mit Selbständigkeit zu finden als bei Personen mit höherem Alterseinkommen."

Bereits diese Aussage ist irreführend. Denn wie aus Teil (I) dieser Serie: "Die Lobbytricks der Deutschen Rentenversicherung" und der AVID 2005 Studie hervorgeht, hat diese Studie niemals irgendwelche tatsächlichen Netto-Alterseinkommen Selbständiger untersucht. Vielmehr hat sich die Studie unter massiven Defiziten zum Nachteil der Selbständigen Vorsorgeelemente der Erwerbstätigen verschiedenster Jahrgänge vor dem Ruhestand herausgepickt. Aus diesen Daten versuchte man, eventuelle zukünftige Netto-Alterseinkommen vorherzusagen.

Die AVID 2005 Studie wähle sich fast nur Elemente der Altersvorsorge heraus, die speziell für abhängig Beschäftigte gelten, vor allem die gesetzlichen Rentenansprüche und Betriebs- und Riesterrenten. Typische Vorsorgemomente Selbständiger wie Betriebsvermögen, Wertpapiere, Kapitalerträge, Immobilien, Miet-, Pacht- oder Zinserträge kehrt die AVID 2005 Studie unter den Tisch. Bei derartig frisierten Ausgangsdaten müssen die "Netto-Alterseinkommen" der Selbständigen zwangsläufig umso mehr Altersarmut aufweisen, je länger sie selbständig waren und je kürzer deren Erwerbszeiten als Arbeitnehmer oder Beamte waren. Mit dieser Methode wird deutsche Milliardär in der Altersarmut landen, wenn er vorher nicht viele Jahre als Arbeitnehmer in die Rentenkasse einzahlte oder als Beamte arbeitete und fleißig riesterte. Entsprechend rechnet die Studie der Deutschen Rentenversicherung die zukünftigen Alterseinkommen der Selbständigen arm.

2. Sozialbeirat schiebt dem Bundesverfassungsgericht die eigene Behauptung des wachsenden Armutsrisikos Selbständiger unter und kann so das Verfassungsgericht als Referenz angeben

Als zweiten Beleg führt das Gremium in Punkt 60 seines Gutachtens 2009, Bundestagsdrucksache 17/52 auf S.80 eine angebliche Feststellung des Bundesverfassungsgerichts an:

"60. Der Sozialbeirat befürchtet, dass künftig vermehrt Selbständige im Alter oder bei Erwerbsminderung auf die sozialhilferechtliche Grundsicherung angewiesen sein werden. Dem wachsenden Armutsrisiko bei Selbständigen, auf das schon das Bundesverfassungsgericht hingewiesen hat (Anmerkung 24 verweist auf Entscheidung: BVerfGE 120, 125 (152), sollte - wie in den meisten Ländern Europas - mit einer Versicherungspflicht entgegengewirkt werden."

Die eigene Story vom wachsenden Armutsrisiko hat der Sozialbeirat dem Bundesverfassungsgericht jedoch nur untergeschoben. Das soll der eigenen unbewiesenen Behauptung gegenüber Bundesregierung, Parlament und Öffentlichkeit offenbar die nötige Autorität und Beweiskraft verleihen. In der vom Sozialbeirat zitierten Entscheidung BVerfGE 120, 125 (152) mit Aktenzeichen 2 BvL 1/06 vom 13.02.2008 findet sich rein garnichts von einem "wachsenden Armutsrisiko für Selbständige". In seiner Entscheidung weist das Bundesverfassungsgericht lediglich in Absatz 97 unter b) darauf hin, man könne keineswegs davon ausgehen, dass im Jahr 1997 die wirtschaftliche Situation Selbstständiger grundsätzlich günstiger gewesen sei als die abhängig Beschäftigter:

"So lag die Armutsquote von Selbständigen etwa im Streitjahr 1997 mit 7,3 % deutlich über derjenigen der Angestellten und Facharbeiter, die je nach Gruppe zwischen 1,8 % und 5,9 % betrug (vergl. Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, S. 618)."

Im damaligen Rechtsstreit ging es darum, dass die Bundesregierung dem Bundesverfassungsgericht vortragen hatte, die Selbständigen hätten viel höhere Einkommen als Angestellte und Facharbeiter. Deshalb sei es bei Selbständigen gerechtfertigt die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten für Krankenversicherungsbeiträge zu deckeln. Das Bundesverfassungsgericht entschied gegen die Bundesregierung. Die Selbständige stark benachteiligende Regelung im Einkommensteuergesetz war verfassungswidrig.

In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht nichts von einem "wachsenden Armutsrisiko für Selbständige". Vielmehr betrachtete das Gericht nur ein einziges statistisches Jahr und stellte fest, dass 1997 auch bei Selbstständigen eine tatsächliche Armuts(gefährdungs)quote bestand, die sogar höher liegt als damals bei Angestellten und Facharbeitern.

(Hinweis: Aus dem Umstand, dass gemäß Statistischem Bundesamt in einem einzigen Jahr - nämlich in 1997 - die Einkommen eines bestimmten Prozentsatzes Selbständiger innerhalb der sogenannten "Armutsgefährdungsquote" - entspricht den Einkommen bis 60 % des mittleren Einkommens Erwerbstätiger - liegen, kann generell nicht darauf zu geschlossen werden, dass diese Selbständigen später auch altersarmutsgefährdet sind. Allgemein ist bekannt, dass sehr viele Selbstständige in den Gründungsjahren nicht gleich das große Geld verdienen und trotzdem später erfolgreich sind. Nicht untypisch treten wegen Investitionen etc. hier zeitweise sogar steuerliche Negativeinkommen auf. Aus der Betrachtung eines Einjahreszeitraums dürfen keine Prognosen für die nächsten Jahrzehnte abgeleitet werden. Wenn 1997 das Einkommen etwa jedes vierzehnten Selbstständigen innerhalb der Armutsgefährdungsquote lag passt dies recht gut zu einer Einkommensverteilung mit typischer Gründungsdynamik für die erste Zeit.)

Nachdem der Sozialbeirat im Gutachten 2009 die Autorität des Bundesverfassungsgerichts missbrauchte, um mit dieser Falschbehauptung die von ihm propagierte Zwangsvorsorge für Selbstständige zu untermauern, ermuntert er im gleichen Absatz als sozialpolitisches Gutachtergremium Regierung und Gesetzgeber zum konsequenten Handeln:

"Der Sozialbeirat weist zudem darauf hin, dass es auch das verfassungsgemäß abgesicherte Recht eines Staates ist, zur Vermeidung einer Inanspruchnahme von Sozialhilfe eine Versicherungspflicht einzuführen."

(Hinweis: Der Sozialbeirats weist hier unfreiwillig auf das verfassungsrechtliche Problem bei der geplanten Zwangsvorsorge Selbstständiger hin: Zwar ist es nicht per se verfassungswidrig, Selbständigen vom Gesetzgeber vorbestimmte Formen der obligatorischer Altersvorsorge vorzuschreiben. Wenn Selbständige jedoch in freier Selbstverantwortung gleich gut Altersvorsorge betreiben wie die Gruppe der bei der Altersvorsorge Pflichtversicherten, wenn ihre Altersarmutsquote also nicht über dem Durchschnitt liegt, dann besteht für den Gesetzgeber auch kein Rechtsgrund, den Selbstständigen ihre durch die Verfassung gewährten Freiheitsrechte für die selbstbestimmte Altersvorsorge zu nehmen. Kann hier die Versicherungspflicht nicht Inanspruchnahme von Sozialhilfe verhindern, dürfte die gesetzlich verordnete Zwangsvorsorge verfassungswidrig sein. Umso bedenklicher erscheint es, dass der Sozialbeirat für die angeblich drohende Altersarmutsgefahren per Gutachten nur Pseudobelege abliefern kann.)

3. Sozialbeirat verweist auf FAZ-Artikel, wonach Selbständigen gemäß MEA-Studie 2009 die Altersarmut droht

Der dritte Verweis des Sozialbeirats im Gutachten 2009, Selbständige seien angeblich zunehmend von Altersarmut bedroht, erfolgt durch den Zusatzhinweis in der Anmerkung 24) von Punkt 60 des Gutachtens 2009: "s. a. FAZ v. 8.9.2009 'Einem Zehntel der Selbständigen droht Altersarmut' ". Der hier zitierte Beitrag aus der FAZ behandelt die vom Unternehmerverband der Versicherungsbranche kofinanzierte MEA-Studie "Das Altersvorsorge-Verhalten von Selbständigen" vom August 2009. Die schweren Mängel dieser Studie haben wir in Teil I dieser Serie erläutert: Wie die AVID 2005 Studie rechnet auch die MEA Studie Selbstständige systematisch altersarm. Beispielsweise definiert die Studie explizit Nichtselbständige mit Niedrigeinkommen in Selbständige um und begründet dies damit, dass diesen Nichtselbständigen ja auch besonders Altersarmut droht. Und obwohl über 80% der Selbständigen und 100% der befragten Unselbständigen (die die Studie per Definition in Selbständige umwandelte) angaben, dass sie spätere Rentenzahlungen von der Deutschen Rentenversicherung erwarten, werden diese Altersvorsorgeansprüche wertmäßig nicht erfasst. So vermittelt die Studie zwangsläufig ebenfalls den Eindruck, ein hoher Prozentsatz Selbständiger sei zukünftig massiv von Altersarmut betroffen.

Fazit

Die im Sozialbeirat sitzenden Verwaltungsratsvorsitzenden, Vorstandsmitglieder, Vorstandsvorsitzenden, Hauptgeschäftsführer und Professoren mit sozialpolitischen Schwerpunktkompetenzen werden sicherlich in der Lage sein, Qualität und Aussagefähigkeit der einzigen zwei Studien zu bewerten (die MEA-Studie 2009 und die AVID 2005 Studie), die im Gutachten 2009 zur Begründung der angeblich drohenden Altersarmutswelle bei Selbständigen herzuhalten haben.

Zusätzlich schiebt der Sozialbeirat dem Bundesverfassungsgericht noch die eigene Behauptung vom "wachsenden Armutsrisiko Selbstständiger" unter. Betreibt der Sozialbeirat mit solch wenig seriösen Behauptungen per Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2009 eine Kampagne, um Bundesregierung und Parlament per Bundestagsdrucksache 17/52 die gesetzliche Zwangsaltersvorsorge gegen Selbstständige schmackhaft zu machen? Auffällig ist jedenfalls, dass der Sozialbeirat in seinem Gutachten 2009 die realen jährlichen Ergebnisse des Bundesamts für Statistik aus dem seriösen Mikrozensus unerwähnt lässt:

  • Von 2005 bis 2009 sank die Armutsgefährdungsquote Selbstständiger von 9,1 % auf 8,7 %.

  • Parallel stieg bei den abhängigen Erwerbstätigen die Armutsgefährdungsquote von 7,1 % auf 7,4 %.

  • Und bei den Erwerbslosen, wie Hartz IV-Empfängern usw., stieg die Armutsgefährdungsquote sogar von 49,6 % auf 53,7 %.

Stattdessen verweist der Sozialbeirat auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die eine in 2009 schon 12 Jahre zurückliegende Armutsgefährdungsquote aus dem Jahr 1997 erwähnt. Wobei zusätzlich noch - entgegen der Behauptung des Sozialbeirats - das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung keinerlei steigenden Armutstrend für Selbständige feststellte.

Angesichts der Zusammensetzung des Sozialbeirats als Expertenrunde ist zu vermuten, dass dies alles kein Versehen ist. Waren etwa die eigenen Lobbyinteressen das Motiv, Bundesregierung, Bundestag, Presse und Öffentlichkeit per Gutachten 2009 das potjemkinsche Dorf wachsender Armuts- und Altersarmutsgefährdung Selbstständiger vorzuführen? Darauf weist auch das Gutachten des Sozialbeirats zum Rentensicherungsbericht 2011 hin. Im Rentensicherungsbericht 2011 legte die Bundesregierung Erhebungsergebisse zu den Quoten der Sozialtransferleistungen für jeweilige Erwerbsgruppen im Alter ab 65 Jahren vor. Jeweils 4% der ehemaligen Selbstständigen und 4% der Arbeitnehmer sowie 3% der Beamten ab 65 Jahren mussten in 2011 irgendwelche Sozialtransferleistungen beanspruchen (Vergl. Beitrag "Altesvorsorgezwang für Selbständige: Gerechtigkeitslücke oder Gerechtigkeitslüge"). Von besonderer Altersarmut Selbständiger findet sich hier keine Spur. Gleichzeitig sank in 2010 gemäß Mikrozensus die Armutsgefährdungsquote Selbständiger weiter ab - nämlich von 8,7% auf 8,4%, während die Quote für abhängige Erwerbstätige unverändert blieb und die Armutsgefährdungsquote für Erwerbslose weiter anstieg. Statt wegen all dieser neuen Erkenntnisse das eigene Gutachten 2009 hinsichtlich der angeblich so dringlichen obligatorischen Altersvorsorge für Selbständige wegen Altersarmut selbstkritisch zu hinterfragen, tritt der Sozialbeirat im Gutachten 2011 die Flucht nach vorn an. Regierung und Gesetzgeber werden angemahnt, die Forderung des Sozialbeirats aus dem Gutachten 2009 endlich umzusetzen, weil das Thema angeblich "immer dringender" werde:

"Die Diskussion, wie einer vermehrt drohenden Altersarmut begegnet werden kann, muss daher weitergeführt werden und zu umfassenden Lösungen gelangen. So wird z. B. die Antwort auf die Frage, ob und wie Selbstständige in das System der obligatorischen Alterssicherung eingebunden werden sollen, immer dringender (dazu Sozialbeirat, BT-Drs. 17/52, S. 78 ff.)."

Die angeblich verstärkte Dringlichkeit einer Zwangsaltersvorsorge für Selbständige wird vom Sozialbeirat im Gutachten 2011 jedoch erneut nicht qualifiziert belegt, sondern wiederum nur deklamiert. Obwohl die realen Zahlen im Alterssicherungsbericht 2011 der Bundesregierung im Widerspruch zu dem stehen, was der Sozialbeirat im Gutachten 2009 selbst behauptet hatte. Und obwohl die gesetzliche Funktion des Sozialbeirat ausdrücklich darin besteht, dass der Sozialbeirat den jährlichen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung mit seinem Gutachten fachkompetent zu beurteilen hat.