Selbstständig mit Kind?

Alles eine Frage der Organisation?

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Alles eine Frage der Organisation?

Mit neu erwachtem Elan stürzen viele Selbstständige sich nun in die Planungswut. Schließlich strahlen einen die Working Mums glücklich aus allen Zeitschriften an. Da sieht man es doch - sie sind glücklich. Es geht also.

Kind versorgt, zurück im Trott ...

Mario Kamrad sieht das etwas pragmatischer: "So ein Kind ist schon Knochenarbeit. Um Glück oder nicht Glück ging es mir weniger. Viel wichtiger ist doch, dass alle zu ihrem Recht kommen. Unsere Kleine braucht unsere Zeit und Zuneigung, meine Frau und ich brauchen Zeit um zu arbeiten und Zeit für uns. Der Laden muss laufen. Der Rest kommt dann schon von allein."

Doch auch ihm machte die Realität einen Strich durch die Rechnung. "Von allein" jedenfalls geschah (fast) gar nichts. Sein Fazit: "Es war ein echter Kampf. Die Betreuungssituation für Kinder unter drei Jahren bei uns in Bochum war eine Katastrophe." Das hatte der Illustrator nicht erwartet und so stand auch er vor dem Problem, seine Aufträge nicht mehr in dem Maße wie erhofft umsetzen zu können. "Da bin ich ganz schön auf dem Zahnfleisch gekrochen", erinnert er sich. "Und eine Krisensitzung mit meiner Frau half uns auch nicht weiter. Gleitende Arbeitszeit oder gar Kinderbetreuung am Arbeitsplatz, das waren Fremdworte für die Führungsetage im Konzern meiner Frau. Das Gebot der Stunde hieß also Improvisation."

Anne Schneider nickt. Auch sie kann ein Lied von der Improvisation singen. "Nur dass ich das alles allein wuppen musste. Ohne die Hilfe meiner Familie wäre das gar nicht möglich gewesen."

Viel Geplane und Geschiebe später ist es dann so weit: Das Kind ist an fast allen Tagen der Woche untergebracht - bei der Mutter, der Schwiegermutter, bei Freunden und Geschwistern, bei Babysitter, Pflegemutter oder Haushaltshilfe mit Herz. Mit etwas Glück und Langmut steht auch der Krippenplatz bereits in Aussicht. Nun kann der Selbstständige sich daran machen, endlich aufzuholen, was liegenblieb. Sich rückmelden, Kontakte auffrischen, die Freude am Akquirieren wieder entdecken. Die Liebe zu Deadlines, der Reiz der Akquise und das Glücksgefühl, den Zuschlag erhalten zu haben. Kommt der Sitter schon am Morgen, ist auch mal eine Nachtschicht drin. Stillen muss man schließlich nicht ewig, und Abpumpen geht zur Not auch. Alles organisierbar. Gut gemacht. "Und so", gibt Kamrad zu, "versinkt man langsam wieder im alten Trott."

Kind gewollt - aber verpasst?

Anne Schneider hat Ähnliches durchlebt: "Ich war zwar bei der Arbeit noch immer langsamer als vorher, aber es lief wieder. Die Zeit für meine Projekte habe ich mit Händen und Füßen verteidigt. Ich wollte zunächst nicht, dass man auf mich Rücksicht nimmt, "nur" weil ich ein Kind hatte. Ich glaube, ich wollte mich beweisen. Das war mir wichtig."

Ihre Arbeitszeiten wurden wieder länger und länger. Ihren Sohn sah sie oft nur am Morgen und am Abend. "Ich habe mir immer gesagt, dass es nach dem nächsten Projekt besser würde. Dann würde ich mir mehr Zeit für ihn nehmen. Nur das Geldpolster wollte ich noch etwas weiter ausbauen, möglichst wenig Arbeit ganz abgeben, sondern lieber selbst untervergeben und die Rosinen sowie die gute Bindung an wichtige Kunden in keinem Fall verlieren. Und derweil ging es meinem Sohn ja schließlich gut.
Er war versorgt."

Trotzdem war die Texterin zunehmend unzufrieden. "Aber", so erinnert sie sich, "ich wusste einfach nicht, woran es lag. Eigentlich lief doch alles. Und trotzdem fühlte ich mich wie gehetzt. Und dann wurde mein Sohn ein Jahr alt und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich hatte dieses Kind von Herzen gewollt. Und war gerade dabei, sein Leben gründlich zu verpassen."