Wenn Gründer zu viel wissen wollen ...

Wissen kann lähmen - das Tun zählt. Ein Plädoyer gegen Übervorsicht und Vollkasko-Mentalität

Robert Chromow hatte viele Praxisratgeber für Gründer und Selbstständige geschrieben. Jetzt hat er einen ganz neuen Tipp auf Lager: Nur nicht zu viel auf Ermahnungen und kluge Ratschläge hören - und auf keinen Fall bange machen lassen.

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„Wissen ist Macht“? Zugegeben: Selbstständige, die alle Rechts- und Steuerfragen mit zweifelhaftem Halbwissen selbst regeln wollen, leben gefährlich. Wer umgekehrt jeden kaufmännischen Aspekt seiner Geschäftstätigkeit bis ins Detail verstehen und ergründen will, kommt auch auf keinen grünen Zweig: Man kann einfach nicht jede Gefahr vorwegnehmen. Besser ist es, sich auf rechtliches und steuerliches Orientierungswissen zu verlassen und im Zweifel auf professionelle Unterstützungzu setzen.

Als ich mich Mitte der 90er Jahre selbstständig gemacht habe, war von der inzwischen viel zitierten „Gründerkultur“ noch nicht die Rede. Den Begriff „Ich-AG“ gab es auch noch nicht. Die Zahl der Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmer lag weitaus niedriger als heute. Die meisten Existenzgründer hatten einen familiären Unternehmer-Hintergrund oder gehörten den klassischen freien Berufen an.

Die Informationslage für Greenhorn-Gründer wie mich war denkbar schlecht: Das Internet steckte noch in den Kinderschuhen. Bücher und Zeitschriften behandelten das Thema Unternehmensgründung vor allem aus dem Blickwinkel mittlerer und großer Unternehmen. Noch nicht einmal Gesetze und Verordnungen waren öffentlich zugänglich: Auskunft über die Rechtslage gaben allenfalls teure Loseblattsammlungen, die Nicht-Fachleuten kaum zugänglich waren.

In Ermangelung passender Informationen hatten die allermeisten Solo-Selbstständigen und Kleinbetriebe damals denn auch einen Steuerberater. Und bei wichtigen juristischen Fragen wie Gesellschafts- und Arbeitsverträgen oder AGB-Formulierungen wurden ganz selbstverständlich Rechtsanwälte oder zumindest erfahrene Experten aus Berufs- und Branchenverbänden oder Kammern hinzugezogen.

Aus der Info-Wüste ins Reich des Überflusses

Das war einmal: Die Ausgangsbedingungen für neugierige und unternehmungslustige Einsteiger ins Geschäftsleben haben sich in den letzten 20 Jahren gründlich geändert – und das nicht nur wegen Förderprogrammen, Gründungszuschuss, Beratungs- und Coaching-Beihilfen:

  • Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und sonstige Vorschriften sind zum großen Teil öffentlich zugänglich.

  • Ministerien und Behörden stellen jede Menge Leitfäden und Merkblätter zur Verfügung. Viele sind sogar lesbar und nützlich.

  • Kammern und Verbände informieren ihre Mitglieder und die Öffentlichkeit über viele betriebswirtschaftliche und rechtliche Details aus ihrem Zuständigkeitsbereich.

  • Behörden, Internet-Plattformen wie akademie.de, Fachverlage und einzelne Berater stellen Material und Informationen mit Tipps & Tricks rund um die Selbstständigkeit bereit.

  • In Foren und sozialen Netzwerken können Betroffene sich jederzeit untereinander und mit Fachleuten austauschen.

Kaum ein Aspekt des Geschäftslebens, zu dem sich nicht mehr oder weniger verlässliche Informationen finden lassen. Kaum ein Thema, zu dem es keine Einschätzungen, Meinungen und Ratschläge von wirklichen Experten, selbst ernannten Fachleuten und Wichtigtuern gibt.

Für mich selbst hatte diese Entwicklung lange Zeit „paradiesische“ Züge: Anfangs profitierte ich davon vor allem als Konsument. Später auch als Produzent von Praxis-Ratgebern für Selbstständige und Kleinunternehmen: Notwendige Recherchen für meine eigene Selbstständigkeit konnte ich vielfach in verallgemeinerter Form öffentlich zweitverwerten. So entstanden viele Grundlagenbeiträge, aber auch zahlreiche Einzelbeiträge zu Business-Themen speziell für Solo-Selbstständige wie mich selbst, insbesondere zu Steuer- und Rechtsfragen.

Die vielen Bäume und der Blick auf den Wald

Seriös recherchierte Informationen oder eigene Erfahrungen zu veröffentlichen, ist grundsätzllich nützlich und sinnvoll. Auf die Dauer habe ich damit jedoch auch einer Entwicklung Vorschub geleistet, über die ich mir erst nach und nach klar geworden bin. Nicht zuletzt der stete Strom an Ratgeberartikeln trägt nämlich zum Eindruck bei, dass ...

  • ein Selbstständigen-Dasein unerhört kompliziert ist - und das es auch noch immer schlimmer wird.

  • auf dem Weg in die Selbstständigkeit überall Schlingen und Fallstricke lauern.

  • es am sichersten ist, Geschäftspartnern, Ämtern und Institutionen grundsätzlich mit Misstrauen zu begegnen.

Dass der Start in die Selbstständigkeit und erst recht die Gründung eines „richtigen“ Unternehmens viel Unsicherheit mit sich bringt, ist unvermeidlich. Für Alarmstimmung oder gar Panik gibt es aber überhaupt keinen Grund!

Trotzdem herrscht bei vielen Betroffenen aber eine solche ängstliche Grundstimmung vor. Das erlebe ich täglich - in Gesprächen, E-Mails und Online-Kommentaren. Viele Selbstständige beschäftigen sich aus Unsicherheit pingelig mit kleinsten Details, obwohl deren finanzielle Auswirkung angesichts spärlicher Umsätze und Gewinne oft gegen Null geht. Wieder andere verlieren völlig den Überblick, vernachlässigen selbst elementare Pflichten wie das Sammeln der Belege und stecken den Kopf in den Sand – bis es zu spät ist.

Wissen ist Macht?

Das alte Wortspiel „Wissen ist Macht – nichts wissen macht nichts!“ mag ja lustig sein. Gestört hat es mich trotzdem immer. Vielleicht liegt's an meiner „bildungsfernen“ Herkunft: Allzu locker-herablassend verspottet der Spruch das emanzipatorische Potenzial der Aufklärung. Dabei ist die „Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“ notwendiger denn je. Ganz zu schweigen von den lustvollen und motivierenden Aha-Erlebnissen, die damit einhergehen.

Anderseits beschreibt der alte Sponti-Spruch aus den 70er-Jahren recht genau die heutige Realität im 21. Jahrhundert:

  • Wissen und Know-how sind (in Verbindung mit globalisierten Kapitalströmen) in der Informationsgesellschaft endgültig zur entscheidenden, machtvollen Ressource geworden.

  • Fakten- und Detailwissen sind freier und schneller zugänglich als jemals zuvor. Bill Gates‘ Vision von „Information at your fingertipps“ wurde 1990 belächelt, mittlerweile ist sie längst Wirklichkeit.

  • Gleichzeitig ist der Verkehr auf dem Datenhighway zum Information-Overkill angeschwollen. Die schiere Datenmasse übersteigt das Fassungs- und Vorstellungsvermögen eines normalen Menschen. Doch trotz der Vielzahl der Bewertungen zu nahezu jedem Thema: Passende und verlässliche Antworten auf ganz konkrete Fragestellungen sind keineswegs leichter zu finden.

  • Gleichzeitig wird früher erworbenes individuelles Wissen permanent entwertet: Immer mehr Menschen erfahren immer öfter am eigenen Leib, wie wenig sie wissen, weil ihr vorhandenes Wissen immer weniger Bezug zu der sich rasant ändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäthat.

  • Jüngere Leute tun sich leicht, Wissens- und Bildungslücken zu offenbaren. Punktuelle Ahnungslosigkeit ist kaum noch peinlich und wird vor allem nicht mehr mit Dummheit gleichgesetzt.

Reine Wissensanhäufung hat kaum noch Bedeutung. Umso wichtiger wird es dagegen, sich des eigenen Verstandes bedienen zu können und vernünftig zu handeln. (Oder um es mit Kant zu sagen: „Sapere aude!“)

Nur: Wie schaffen es Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen denn dann ganz praktisch, sich im Geschäftsleben ihres Verstandes zu bedienen und vernünftig zu handeln?

Frisch ans Werk!

Beginnen wir mit dem Wichtigsten: Informieren, recherchieren, nachdenken, planen – alles schön und gut. Die wirklich Weisen und Erfolgreichen betonen jedoch seit eh und je den Primat des Handelns:

  • Die Hälfte ist schon geschafft, wenn man nur anfängt!“ (Horaz).

  • Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ (Erich Kästner).

  • Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ (Helmut Kohl)

  • Entscheidend is‘ auf’m Platz“ („Adi“ Preißler)

Übertragen aufs Businessleben lautet die Maxime: „Unternehmer kommt von unternehmen und nicht von unterlassen.“ Bedenkenträger werden nie zu Unternehmern.

Gut gegen Paranoia: Bescheidene Selbsteinschätzung

Jeder einzelne Mensch ist sein eigenes Universum. In der Außenwirkung neigen wir daher dazu, unsere Bedeutung zu überschätzen. Zum Glück sind Gründer und Jungunternehmer aus Sicht von Ämtern, Behörden und anderen Neidern nicht halb so wichtig, wie sie sich selbst fühlen.

Zugegeben: Finanz-, Gewerbe- und Gesundheitsämter, GEZ, Handwerks-. und Handelskammern, die böse Konkurrenz und Abmahnanwälte haben schon so manchem Start-up bös zu schaffen gemacht. Und es gibt ohne Zweifel viele praxisfremde und sinnentleerte Vorschriften.

  • Doch erstens sind bei weitem nicht alle Beamten darauf erpicht, selbstständigen Steuerzahlern Knüppel zwischen die Beine zu werfen und ihnen das Leben schwer zu machen. Nicht jeder Gründer wird Opfer kaltblütiger Kammermitarbeiter, fieser Wettbewerber, hinterlistiger Lieferanten und schmieriger Winkeladvokaten.

  • Zweitens kommen die allermeisten Zweifels- und Problemfälle mangels Betriebsprüfung oder öffentlichem Interesse gar nicht ans Tageslicht.

  • Und drittens gibt es kompetente Rechts- und Steuerberater und ähnliche Experten: Solche Profis kosten zwar Geld, machen sich in wirklich wichtigen (weil teuren) Angelegenheiten in aller Regel aber auch bezahlt.

Was tun? Na, was tun!

Zwischen lähmender Übervorsicht und riskantem Übermut ist eine umsichtige, aber aktive Grundhaltung der richtige Mittelweg. Lassen Sie sich nicht den Schneid abkaufen von all den Bedenkenträgern und den vielen Warnungen allüberall. Auch nicht von denen, die ich selbst verfasst habe :-).

Und tun Sie was für Ihre allgemeine Lebenszufriedenheit: Viel Bewegung an frischer Luft und im Büro, soziale Kontakte pflegen (nicht nur bei Facebook), öfter mal was mit Familienangehörigen und Freunden unternehmen, Kultur- und Sportveranstaltungen besuchen, feiern - was erLEBEN halt.

Zum Weiterlesen: Handlungsorientierte Informationen zur Unterstützung